Wohnhaus Clara Viebig (QR-Code am Gebäude noch nicht vorhanden)

Die heute wenig bekannte Clara Viebig, geboren 1860 in Trier und gestorben 1952, gehörte um die Jahrhundertwende zu den meistgelesenen deutschen Autorinnen. In diesem Haus am Schwanenmarkt lebte sie von 1867 bis 1883.

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Clara Viebig, Die Wacht am Rhein, Erb Verlag, Düsseldorf 1983, S. 136/137

"Nun war Viktor am Schwanenmarkt. Das war freilich das alte Kachelloch nicht mehr. Rund um das Viereck des Platzes standen Häuserreihen, die kaum eine Lücke mehr wiesen; Rasenflächen und wohlgepflegte Lindenbäume erinnerten nicht mehr an die stacheligen Hecken und mannshohen Holunderbüsche von ehemals. Und doch – lag’s an der Luft, die ihn frei umwehte, an den Schwalben, die zwitschernd über ihn hinstrichen zum nahen Lopohl? – er hörte wieder Kinderjubel...“Eins, zwei, drei, mein Herz ist frei! – so schrie Josefine, sich freischlagend, atemlos vom raschen Nachlaufenspiel.... Und an jener Ecke stand der Schinderhannes, der dicke, freche Bürgersjung’, die Hände in den Hosentaschen, die Beine gespreizt, und spuckte...Und hier an der Ecke der Löwenapotheke hatten Taubnesseln geblüht, wilder Thymian und gelbe Kettenblumen, Josefine hatte sie zum Strauß gepflückt.

Überall Josefine und überall.

Und sich selber sah er springen im verwaschenen Kittel, in ausgewachsenen Hosen.

Und eine gewisse Rührung überkam ihn.

Er dachte nicht mehr daran, auf der Königsallee zu promenieren; nachdenklich ging er die Bilkerstraße hinunter, am Elternhaus vorbei, über den Karlsplatz, immer weiter hinein in die alte Stadt. Von den Kirchen läutete es, aus den Bürgerhäusern roch es appetitlich; Kinder mit großen Blatzschnitten standen in den offenen Türen, hinter ihnen im dunklen Flur glimmte das ewige Lämpchen vorm Muttergottesbild. Am Markt, beim alten Jan Willem, saß noch wie früher die Obstfrau unterm Regenschirm; aber es war nicht mehr das ‚Appel-Leni’, bei der er einst geröstete Kastanien für Josefine gekauft."

Clara Viebig, Die Wacht am Rhein, Erb Verlag, Düsseldorf 1983, S. 136/137

Wohnhaus Clara Viebig

Clara Viebig wurde als Tochter des Oberregierungsrates und Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung Ernst Viebig und dessen Ehefrau Clara am 17. Juli 1860 in Trier geboren. 1867 wurde der Vater nach Düsseldorf versetzt, wo Clara in dem Haus am Schwanenmarkt 3 ihre Kindheit verbrachte. Nach dem Tod des Vaters zog sie 1883 mit der Mutter nach Berlin, studierte Gesang und widmete sich dem Schreiben. 1896 heiratete sie in Berlin Friedrich Theodor Cohn und veröffentlichte fortan in dessen Verlag F. Fontane & Co. fast alle ihre Werke. Während des Zweiten Weltkrieges flüchtete die Schriftstellerin vor den Luftangriffen ins oberschlesische Mittenwalde und kehrte 1946 krank und verarmt nach Berlin zurück. Clara Viebig starb am 31. Juli 1952 im Alter von 92 Jahren und wurde in der Ehrengrabstätte ihres Vaters auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof beigesetzt.

Die heute kaum noch bekannte Clara Viebig gehörte um die Jahrhundertwende zu den meistgelesenen und in viele Sprachen übersetze deutschen Autorinnen. Mit dem Roman "Das Weiberdorf" hatte sie 1900 ihren Durchbruch und entfachte eine wilde Kontroverse: Ungewöhnlich war die Beschreibung eines Dorfes, das allein von Frauen gemanagt wird, deren Männer sich allesamt im Ruhrgebiet befinden. Ihr umfangreiches Werk besteht aus Romanen, Novellen und Dramen. Auch Düsseldorf spielte in Viebigs Leben und für ihr Schreiben eine wichtige Rolle: Der Stadt ihrer Kindheit und Jugend gedenkt die Schriftstellerin nicht nur in ihrem autobiographischen Abriss "Aus meinem Leben", sondern auch in den 1914 erschienen "Erinnerungen an das alte Düsseldorf". Sie schildert, wie sie jeden Tag auf dem Schulweg an der Kaserne vorbeikam und beschreibt, wie sie in der Stadt das Leben der höheren Schichten kennenlernen konnte. Literarisch verewigt wurde Düsseldorf in dem 1902 veröffentlichten Roman "Die Wacht am Rhein". Die Protagonistin Josefine Rinke trägt deutlich Züge ihrer Schöpferin und führt die Leserinnen und Leser zu zahlreichen Düsseldorfer Schauplätzen: Geboren wird sie in der Kasernenstraße, in der Ratinger Straße betreiben Josefines Großeltern die Wirtschaft „Bunter Vogel“, in der Altstadt werden bei den Aufständen 1848 die Barrikadenkämpfe ausgefochten und in der als Lazarett umfunktionierten Kaserne hilft sie den Verwundeten.